Die Leitprinzipien der Katholischen Soziallehre
1. Personalität
Das Personalitätsprinzip umschreibt die Überzeugung, dass die menschliche Person Ebenbild Gottes und als solches „Träger, Schöpfer und Ziel“ (MM 219) aller sozialen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivität ist und sein soll. Der Mensch mit seinen spezifischen Bedürfnissen, Sehnsüchten, Talenten und Fähigkeiten „bildet demnach den obersten Maßstab für das individuelle Handeln, ebenso wie für Institutionen und Gesetze“ . Gleichheit, Freiheit, Sozialität und Schuldfähigkeit bilden dabei wesentliche Wesensmerkmale des Menschen.
2. Solidarität
Als animal sociale ist der Mensch ein Lebewesen, das auf soziale Kooperation angewiesen und ausgerichtet ist. Der einzelne braucht die Gemeinschaft, wie diese umgekehrt auch auf den Beitrag des einzelnen angewiesen ist. In diesem Sinn meint Solidarität „eine wechselseitige Beistandsverpflichtung nach dem Motto ‚einer für alle, alle für einen‘“ .
3. Subsidiarität
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein dezentralisierendes und Macht begrenzendes Prinzip und besagt: Die übergeordnete Instanz darf nicht an sich reißen, was der Einzelne oder die untergeordnete Instanz leisten kann, sie soll aber dort unterstützen, wo der einzelne bzw. die kleinere Einheit die notwendige Leistung nicht selbst erbringen kann. „Das bedeutet, dass es Aufgabe des Staates ist, den Einzelnen, die Familie und die zivilgesellschaftlichen Institutionen (untergeordnete Gemeinwesen) zu unterstützen, sollte dies nötig sein, nicht aber sie ‚zerschlagen und aufsaugen‘, d.h. ihre Kompetenzen an sich ziehen.“
4. Gemeinwohl
Das Prinzip des Gemeinwohls benennt das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft bzw. Gesellschaft. Aufgabe des Staates ist es, Rahmenbedingungen herzustellen, innerhalb derer sich das Miteinander der einzelnen und Gruppen zum Wohl des Ganzen entfalten kann. Ziel ist dabei die Erhaltung, Entfaltung und Vollendung der menschlichen Person. „Organisatorisch bezeichnet das Gemeinwohl die ‚Gesamtheit jener Bedingungen des sozialen Lebens, unter denen die Menschen ihre eigene Vervollkommnung in größerer Fülle und Freiheit erlangen können, und besteht besonders in der Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person.‘ (DH 6, MM 65) […] Inhaltlich bezieht sich der Gemeinwohlbegriff auf die Werte und Ziele, die die Politik im Sinne von Gerechtigkeitsvorstellungen leiten und auf die Zukunft hin ausrichten sollen.“
5. Nachhaltigkeit
Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist angesichts negativer Folgen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie eines massiv ressourcenverbrauchenden Lebensstils verstärkt ins Bewusstsein getreten. Es bezeichnet den „Einsatz für gerechte Lebensbedingungen und einen schonenden Umgang mit der Natur auf Zukunft hin“ (Ökumenisches Sozialwort 2003, 289), und verbindet so das Anliegen globaler und intergenerationeller Gerechtigkeit mit dem Anliegen, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Natur als Eigenwert zu schützen.
Hilfreiche Fragen zu Erschließung und Verständnis lehramtlicher Texte Folgende Fragen (formuliert in Anlehnung an Marianne Heimbach-Steins ) können dabei helfen, einen angemessenen Zugang zu den Texten der katholischen Soziallehre zu gewinnen. So gelesen erweisen sie sich weniger als starres „Lehrgebäude“, sondern als lebendiger, durchaus spannungsvoller Traditionszusammenhang.
- Absender und Perspektive: Wer ist der kirchliche Absender eines Textes (Papst, Bischofskonferenz, Bischof, Verbände oder Gremien etc.)? Lässt sich feststellen, wer den Text vorbereitet / erarbeitet hat? Um welche Textart handelt es sich (Enzyklika, Instructio, etc.) Aus welcher Perspektive spricht der Text (römisch, eurozentrisch, Dritte-Welt etc.)?
- Entstehungsprozess und Struktur: Wie ist das Dokument entstanden, um welche Positionen wurde vielleicht gerungen? Gibt es Brüche, Wiederholungen, Widersprüche?
- Kontext: Was ist der kirchliche, politische, ökonomische Kontext, aus dem heraus bzw. auf den hin ein Dokument verfasst wurde?
- Adressaten: Wen spricht der Text an (nur innerkirchlich – auch außerkirchlich, spezifische Gruppen)?
- Themenfeld: Mit welchen Fragen und Problemen setzt sich der Text zentral auseinander?
- Stil: Ist die Argumentationsweise des Textes problembezogen, ethisch, theologisch? Dominiert die sachliche Auseinandersetzung oder handelt es sich um einen predigthaften, zum Handeln auffordernden Text?
- Rezeption: Wie wurde der Text rezipiert? Was wurde weitergeführt / wieder aufgenommen, was fand wenig Beachtung?
Verwendete Literatur:
- Gabriel, Ingeborg, Papaderos, Alexandros K., Körtner, Ulrich H. J.: Perspektiven ökumenischer Sozialethik. Der Auftrag der Kirchen im größeren Europa (2. Auflage).Matthias-Grünewald-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2006.
- Heimbach-Steins, Marianne (Hg.): Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch. Bd. 1. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2004.